Wie es funktioniert
Bestäuberinsekten nehmen die Welt anders wahr als wir Menschen. Eine Blume kann einer Biene oder einem Schmetterling in einer anderen Farbe erscheinen als der, die wir sehen. Das ist darauf zurückzuführen, dass Insektenaugen andere Bereiche des Farbspektrums registrieren. Für manche Insektenarten gehört dazu auch ultraviolettes Licht, das auf Blütenblättern Markierungen sichtbar macht, die für das menschliche Auge unsichtbar sind, Insekten jedoch gezielt anlocken und ihnen den Weg zum Pollen im Inneren der Blüte weisen. Gärten sehen für Bestäuberinsekten vollkommen anders aus als für uns. (Weitere Informationen zur Bestäubersicht).
Viele Pflanzen brauchen Bestäuber, um sich fortpflanzen zu können. Sie haben bestimmte Farben, Muster, Formen, Düfte und köstlichen Nektar entwickelt, um auf diese Weise Boten anzulocken, die ihren Blütenstaub zu anderen Blumen der gleichen Art transportieren. Einerseits haben Bestäuber Eigenschaften entwickelt, um sich an die Anatomie bestimmter Blüten anzupassen, und andererseits haben Blumen besondere Attribute herausgebildet, die der Anatomie bestimmter Bestäuber entgegenkommen – man nennt dies ‘Koevolution’. „Unterschiedlich geformte Blüten passen zu unterschiedlich geformten Mundwerkzeugen“, erklärt der Pflanzenexperte Marc Carlton. Beispielsweise ziehen kleine erbsenförmige Blüten Einsiedlerbienen an, während das tiefliegende Blüteninnere des Fingerhuts für langzüngige Hummelarten geeignet ist. Manche Pflanzen wiederum sind auf eine Vielzahl verschiedener Insekten ausgerichtet.
Wichtig ist dabei nicht nur das Erscheinungsbild der Blüten, sondern auch, zu welcher Zeit sie blühen: Koevolution hat dazu geführt, dass Blumen genau dann Blüten tragen, wenn ihre Lieblingsbestäuber auftauchen – ein Phänomen, das Rodger Dewhurst, der Imker beim Eden Project ist, „wechselseitige Beeinflussung“ nennt.
Bestäuberinsekten haben je nach Art unterschiedliche Methoden, nach Nahrung zu suchen. Käfer erkunden ein Terrain eher aufs Geratewohl, während Bienen und einige andere Insekten imstande sind, sich die Standorte der Blumen, die sie besuchen, zu merken und auf dieser Basis die effizienteste Flugbahn zu ermitteln. Eine Biene kann bis zu 10.000 Pflanzen an einem Tag anfliegen, daher ist es essentiell, der jeweils kürzesten Route zu folgen.
Der Verlust einer einzigen Bestäuberart kann das Ende einer ganzen Pflanzenart bedeuten. In Anbetracht der vielen Formen der Koexistenz von Pflanzen und ihren Bestäubern ist das Anlegen von Gärten, die eine Vielfalt an Bestäubern begünstigen, unerlässlich – aber auch eine komplexe Herausforderung.
Der Algorithmus
Um dieses Problem anzugehen, hat Ginsberg in Zusammenarbeit mit Gärtner:innen des Eden Project, Bestäuberexpert:innen und einem KI-Wissenschaftler ein lebendes Kunstwerk konzipiert – und darin einen einzigartigen Algorithmus eingebaut: den Pollinator Pathmaker. Dieses besondere Tool, das Gartendesigns mit Empathie für andere Spezies erstellt, ist das Herz von Alexandra Daisy Ginsbergs Kunstwerk.
Um ein so subjektives Phänomen wie das menschliche Einfühlungsvermögen als Algorithmus zu kodieren, wird der Begriff Empathie hier als jene Art von Gartengestaltung definiert, die so viele Bestäuberarten wie möglich begünstigt. Der Pollinator-Pathmaker-Algorithmus folgt gewissen Regeln und errechnet einen Bepflanzungsplan gemäß den jeweils gegebenen Vorgaben, z. B. ausgehend von einer Bestäuberart und den Pflanzen, die diesem Insekt als Nahrungsquelle dienen. Er trifft eine Auswahl von Pflanzen und stellt sie so zusammen, dass sie auf die Vorlieben ihrer nichtmenschlichen Besucher zugeschnitten sind.
Da der Algorithmus von Menschen entwickelt wurde, können bestimmte menschliche Vorlieben, wie beispielsweise unser Schönheitsempfinden, nicht komplett eliminiert werden. Mithilfe des Algorithmus können solche Voreingenommenheit jedoch minimiert und unser Blick tatsächlich auf andere Spezies gelenkt werden, statt wie gehabt den Menschen als Maß aller Dinge zu nehmen.
Der Pollinator Pathmaker ist ein Kunstwerk, das wissenschaftliche Erkenntnisse zu Rate zieht – es ist kein wissenschaftliches Experiment. Dessen ungeachtet interessieren uns Fakten und Zahlen. Erfahre hier mehr darüber, wie wir die Besuche unserer Bestäuber zählen wollen.
Pflanzenpaletten
Der Algorithmus wählt Pflanzen aus regionalen ‚Pflanzenpaletten‘ aus, welche die Künstlerin gemeinsam mit Gärtner:innen des Eden Project, Bestäuberexpert:innen und unter Berücksichtigung relevanter Forschungsergebnisse und Fachliteratur zu bestäuberfreundlichen Pflanzen entwickelt hat. Für die meisten Gartenpflanzen liegen keine wissenschaftlichen Forschungsergebnisse zu ihren Bestäubern vor, daher haben wir eine Vielzahl anderer Ressourcen zu Rate gezogen, einschließlich der individuellen Erfahrungswerte unseres Expert:innenteams, um die Bestäuber all jener Pflanzen zu identifizieren, die von uns in die Pflanzenpaletten einbezogen wurden.
Die Pflanzenpaletten wurden als Gesamtkonzept konzipiert, um zu gewährleisten, dass jeder Bestäubergeschmack bedient wird. Dabei waren folgende Regeln zu beachten:
- Wähle unterschiedlich geformte Blüten passend zu unterschiedlich geformten Mundwerkzeugen aus.
- Decke ein breites Spektrum an saisonal blühenden Pflanzen ab, um diverse Bestäuberarten zu berücksichtigen, die jeweils zu verschiedenen Jahreszeiten aktiv sind.
- Beziehe Pflanzenarten ein, die im Winter Früchte tragen, um Tieren und anderen Organismen auch in der kalten Jahreszeit Lebensraum und Nahrung zu bieten.
- Verzichte auf Kultivare (Kulturpflanzen, die durch Eingriffe von Menschen entstanden sind). Diese werden zumeist in Hinblick auf Eigenschaften gezüchtet, die uns Menschen gefallen (wie Geruch oder eine besonders große Zahl an Blütenblättern), die jedoch oft weniger oder keinen Pollen oder Nektar bieten, oder diese schwer zugänglich machen.
- Berücksichtige nichtheimische Pflanzen nur dann, wenn sie für den Standort geeignet sind, ohne invasiv zu sein, eine Gefährdung darzustellen oder übermäßig mit anderen in der Palette vertretenen Pflanzen zu konkurrieren.
Wir haben außerdem mehrere Grasarten hinzugefügt, die unter Pflanzen eingesät werden können, die ihr Laub schnell verlieren. Dadurch wird das ganze Jahr hindurch zusätzlicher Lebensraum geboten – und nicht zuletzt auch das Unkrautjäten reduziert.
Der Pollinator Pathmaker basiert auf dem Modell der Großzügigkeit: Jeder Auftrag für eine internationale Edition – wie der ersten Edition im Eden Project – ist mit der Entwicklung einer neuen regionalen Pflanzenpalette verbunden, die auf pollinator.art verfügbar gemacht wird. Informiere dich über die Beauftragung oder trage dich auf unserer Verteilerliste ein, um Informationen über neue, demnächst verfügbare regionale Pflanzenpaletten zu erhalten.
Wie ein Garten entsteht
Nutze den Algorithmus, um einen Entwurf für die Gestaltung deines Gartens zu generieren. Nachdem du angegeben hast, wo sich dein Garten befindet, wie groß er ist, wie die Erde beschaffen ist und welche Lichtverhältnisse herrschen, kannst du mit den Empathiewerkzeugen des Algorithmus spielen.
Möchtest du lieber mehr oder weniger Arten anpflanzen? Bevorzugst du einen klar strukturierten Garten, oder reizt dich eine kompliziertere Anlage? Willst du eher Flugrouten oder eher zusammenhängende Flächen schaffen? Wie du die Regler auch einstellst – der Algorithmus wird deinen Vorgaben entsprechend einen optimalen Bepflanzungsplan errechnen, sodass eine maximale Vielfalt an Bestäuberinsekten begünstigt wird.
Um deinen persönlichen Entwurf zu begutachten, klicke auf ‚Erstelle einen neuen Garten‘. Wenn der vorgeschlagene Garten dir gefällt, teile ihn, lade die kostenlose Pflanzanleitung herunter (mitsamt Echtheitszertifikat für deine Version des Kunstwerks) – oder beginne von vorn.
Und schon kann es mit dem Pflanzen losgehen! Du wirst einen dicht bewachsenen Garten voll unerwarteter, unkonventioneller, auffälliger Muster, kräftiger Farbverläufe und umwerfender Farbkontraste bekommen – inklusive Kombinationen aus hoch- und niedrigwachsenden Pflanzen. Das Ergebnis wird nicht mit der Art von Gestaltung übereinstimmen, wie man sie von menschlichen Gärtner:innen erwarten würde, und entspricht auch nicht dem, was in der Natur zu finden ist. Der Pollinator Pathmaker erschafft in der Tat ‚unnatürliche‘ Gärten, die aber für die Natur bestimmt sind.